Friday, April 4, 2014

Vom Zeitungszusteller zum Astronauten

Unser Random Research team (RR team), das wohl nur die englischsprachigen Leser kennen, entschloß sich vor einigen Monaten einer besser bezahlten Beschäftigung nachzugehen. Der Lohn von 0,0 Euro pro Stunde von den K-Landnews reichte nicht zum Leben.

Im Zug der Mindestlohndebatte in der Republik nahmen wir wieder Kontakt zu den Ehemaligen auf und baten um einen persönlichen Kommentar. Zeitungszusteller sollten nach Arbeitgeberwunsch ausgeschlossen werden von den geplanten 8,50 Euro pro Stunde.

Unser Freund, dem wir einen Blog-Post zu Hausnummern in Deutschland verdanken, gab uns einen Einblick in das kurze, harte Leben eines Zustellers.

Hier die nur leicht editierten Worte eines echten Zustellers:

Morgens um 2:30 klingelt der Wecker, der Kaffee ist einige Minuten später fertig und das einzige Mittel, das einen aus dem Haus bringt.

Die Zeitungsbündel liegen an der Bushaltestelle unseres Ortes. Manchmal fehlt ein Teil, manchmal kommt der ebenfalls minijobende Fahrer zu spät.
Ein- bis zweimal die Woche gibt es zusätzliche Werbezettel, mehr dazu später.

Die erste Woche einer neuen Route ist schwer. Trotz Liste, trotz guter Taschenlampe, man macht Fehler.
Wenn der Chef nett ist, bringt er dem Kunden die fehlende Zeitung, wenn nicht, muß der Zusteller es machen.
Die Arbeitszeit sollte nach Angaben des Chefs etwa eine Stunde am Tag betragen. Das stimmt so nicht -- bis man im Dunklen alle Adressen so gut gelernt hat, dass man nur eine Stunde braucht, dauert es eine bis zwei Wochen.
Die Bezahlung ist Stücklohn, 2,5 Euro pro Examplar pro Monat, macht einen Stundenlohn von etwa 6 Euro, wenn man alles in einer Stunde schafft.
Realistisch ist: die ersten zwei Wochen sind es höchstens 3 Euro pro Stunde. Wenn das Wetter schlecht ist, sieht es ähnlich aus.

Was ich zustelle: die regionale Tageszeitung, dazu überregionale Tages- oder Wochenzeitungen (Die Welt, FAZ, Die Zeit, Paulinus, und so fort).

Ich habe im Schnitt 80 Exemplare pro Tag zu verteilen, macht etwa 200 Euro pro Monat.

Zustellende ist 6 Uhr früh. Die Kunden wissen das.

Am allerersten Tag stand ich um zehn Minuten nach 6 vor einem Briefkasten als die Tür aufging: "Ich bezahle über 30 Euro im Monat für meine Zeitung, und jetzt kommt sie zu spät".
Kein guten Morgen, nichts.
"Es tut mir leid, ich bin neu, es ist mein erster Tag."
Gemurmel, ein "ah", er nimmt die Zeitung und die Tür geht zu.

Es ist Winter. Mein Stammbezirk ist hügelig. Nebenstrassen werden nicht mehr gestreut, Hauseigentümer sind mal aufmerksam, mal schlampig...in Deutschland eher schlampig heutzutage.
Eine Arbeit, die umwerfend ist, na ja, im Winter schon.

Wenn es zu schlimm ist, kann man die Route später machen, muß aber der Zentrale Bescheid sagen, damit die nervöse oder genervte Kunden vertrösten kann.

Meine alten Schuhe sind nach einem Monat kaputt, ein halbes Monatsgehalt geht für neue Schuhe drauf.
Jacken gibt es von der Firma, aber nur geliehen. Alles andere zahlt man selbst. Mehr Kaffee, mehr Essen, und bei den Rauchern mehr Geld für Zigaretten.

Wegegeld wird gerne von den Arbeitgebern hervorgehoben. Stimmt, es gibt ein paar Cent mehr als den normalen Finanzamtsatz.

Das lohnt sich für Leute mit Fahrrad. Zusteller, die mit dem Auto fahren müssen, stehen oft schlecht da. Die meisten von uns haben kein schönes, sparsames, neues Auto sondern einen alten Schlucker, der auch öfter in die Werkstatt muß.

Wer Glück hatte, hat über die Abwrackprämie einiges gutgemacht. Aber diese Autos werden auch langsam alt.

Und dann sind da Beschwerden an die Firma, viel weit tragender als morgens persönlich angeraunzt zu werden.

Ein Autohändler hat seinen Hof aufgrissen und altes Asphalt durch neue Pflaster ersetzt. Die Baustelle war unbeleuchtet, jeden Tag waren neue Löcher da, neue Fallen. Und dann waren da rostige Stahlstäbe, alles ungekennzeichnet.
Nach einer Woche Hindernislauf, endlich neuer Schotter, wenigstens keine Gefahr mehr.
Und dann beschwert er sich bei der Firma, ich hätte seinen Schotter zerstört und er müsse leider eine teure Rechnung an die Firma senden.
Schrecklich. Nach einer Woche in pechschwarzer Nacht nur mit einer Taschenlampe.
Wie als Hohn ist das Haus nun nachts beleuchtet. Hat er sich geschämt, den Nachbarn nachts beleuchteten Schotter zuzumuten?

Zum Glück gibt es andere Menschen. Eine Frau kommt an die Tür, begrüßt mich und die Kollegin.

Der  unterbrochene Schlaf setzt fast jedem Zusteller zu. Man möchte ja nicht jeden Tag um 18 Uhr im Bett sein, wenigstens ein wenig sozialen Umgang haben.
Also schläft man morgens eine zweite Runde.

Sechs Tage pro Woche, Montags bis Samstags morgens , das ist der zweite Knackpunkt. Wer außer Ärzten arbeitet heute noch sechs Tage die Woche?
Nur ein einziger Tag zur Erholung, allein das wäre schon 8,5 Euro wert.

Die zusätzllichen Werbezettel sind für mich nichts anderes als papiergewordene Dummheit. In ihrer Hochglanz-Glitschigkeit müssen sie an jeden Haushalt zugestellt werden. Einen halben Kilometer außerhalb der Zeitungsroute? Ja.

Schrott, der dem Zusteller 0,02 Euro pro Exemplar bringt. 2 Cent, die wahrscheinlich gerade den Schuhverschleiß, die Verkürzung der Taschenlampen-Akku-Lebensdauer und die extra Kalorien für den Weg abdecken.

Möbel aus Press-Span mit Plastikfurnier, Kunst für den Vorgarten -- Gartenzwerge sind out, Blechvögel sind in. Italienische Namen für überteuerte Billigklamotten Made in Bangladesh.
Und für Leute, die sich vor dem Einmaligen Sonderangebot TV für 79 Euro zuviele Pfunde angegessen haben ("Schweinesteak jetzt radikal billiger" für 2,59 statt 2,79 Euro), für die gibt es ein Einführungsangebot des örtlichen Fitness-Clubs.

Selbst Schuld? Daran, dass mir die Leute leid tun, die nichts als Arbeit plus ein paar Wochen Urlaub haben für Lohn irgendwo an der Mindestlohngrenze? Daran, dass man als Armutsmigrant gilt weil die Berufsausbildung hier nicht anerkannt ist? Daran, dass man als Bäcker für eine Betriebskantine jeden Morgen für 1000 Personen frische Backwaren auf den Tisch brachte und hier nicht Bäcker ist?

Ich habe schon gewitzelt, nächstes Jahr als Beruf "Astronaut i.R." auf der Steuererklärung anzugeben. Astronaut ist nicht geschützt, und im Ruhrstand ist man ja in dem Job schon mit 30 Jahren oder so.

Aber das Finanzamt würde sich wahrscheinlich veräppelt fühlen, und das mögen deutsche Beamte nur im Karneval.

Also Beruf "Keiner".

Oder Zeitungszusteller?

Ist kein Beruf, daher keine 8,50 Euro.

Man braucht dafür keine Ausbildung!

Zum Politiker übrigens auch nicht.


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